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Terrains

herausgegeben von Ivo Eichhorn, Simon Gurisch, Julien Veh und Jan Philipp Weise

 

Für Louis Althusser steht der Ausdruck des Terrainwechsels emblematisch für Marx’ kritisches Verhältnis zur Politischen Ökonomie. Sein eigenes philosophisches Unterfangen lässt sich ebenfalls durch mehrere solcher Terrainwechsel charakterisieren. Sei es vom »Zurück zu Marx!« der frühen und mittleren 1960er Jahre und dem damit verbundenen Vorhaben einer philosophischen Rekonstruktion des Marxismus hin zur selbstkritischen Diskussion des Marxismus jenseits eines Theoritizismus der mittleren und späten 1970er Jahre; sei es zwischen einem Denken der Struktur und einem Denken der Konjunktur bzw. Lage oder in der Verhältnisbestimmung von Wissenschaft, Ideologie und Philosophie. Althusser ist immer wieder auf seine eigenen Eingriffe in den Marxismus, die im Zeichen von dessen Entstalinisierung stehen, zurückgekommen, um sie immer wieder neu auszurichten und hat damit in Richtung einer lebendigen theoretischen Praxis gewiesen.


Die Reihe Terrains möchte ihrerseits für die deutschsprachige Diskussion zu einem Terrainwechsel in Bezug auf Althusser auffordern und einladen. Anknüpfend an frühere, jäh abgebrochene Versuche macht sie zentrale und bislang teils weniger beachtete Texte Althussers zugänglich und stellt sie zur Diskussion. Nachworte und weitere Debattenbeiträge sollen ihren Teil dazu beitragen, die Verstellungen und Erkenntnisblockaden in der hiesigen Diskussion um Althussers Werk zu lösen und diese in neue Richtungen zu lenken. Die Reihe stellt insofern selbst ein Untersuchungsprojekt dar, das die im Kreis um Althusser betretenen und verlassenen Terrains nachzuzeichnen  sucht, um die Aktualität dieser theoretischen Versuche und Positionen ermessen zu können. Dabei verlangt die Beweglichkeit von Althussers Arbeit als Marxist in der Philosophie kollektive Anstrengungen der Lektüre, Übersetzung und Diskussion. Ihre Aufforderung und Einladung Althusser (neu) zu lesen, spricht die Reihe Terrains aus, da sie der Überzeugung ist, dass mit seinem Denken auch die Leben, Krisen, Tode und Nachleben des Marxismus auf dem Spiel stehen. Jenseits der vermeintlichen Selbstverständlichkeit, man sei immer schon mit dem Marxismus fertig geworden und er kehre lediglich als Untoter wieder, hat Althusser an dessen Lücken und Grenzen gearbeitet. Die Reihe Terrains soll diese unermüdliche Arbeit Althussers zugänglich machen und sie diskutieren, um uns in die Lage zu versetzen, die Tode, Nachleben und Krisen des Marxismus von seiner Lebendigkeit unterscheiden zu können.

LOUIS ALTHUSSER
MARX IN SEINEN GRENZEN
und andere Texte

Aus dem Französischen von Julien Veh und Jan Philipp Weise

Die Tatsache, dass es im Klassenkampf um den Staat geht, bedeutet keineswegs, dass die Politik sich über den Bezug zum Staat zu definieren hat.

Louis Althusser ist hierzulande vor allem für seine sogenannte epistemologische Marx-Lektüre in Für Marx und Das Kapital lesen bekannt, die rigoros zwischen einem idealistischen jungen und einem materialistischen reifen Marx unterscheidet. Dabei wurde jedoch kaum zur Kenntnis genommen, dass Althusser selbst seine philosophischen Arbeiten fast durchgängig auch als politische Interventionen innerhalb der Kommunistischen Partei verstand, der er den größten Teil seines Lebens angehörte. Sein Verhältnis zur Partei wurde allerdings im Laufe der 1970er Jahre immer spannungsvoller angesichts ihrer Unfähigkeit, eine Politik ausgehend von den neuen Massenbewegungen zu formulieren.

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             Davon zeugen auch die hier versammelten Texte, die es unternehmen, die Ende der 1970er Jahre ausgerufene Krise des Marxismus auf dessen innere Grenzen zurückführen, um ausgehend davon neue politische Wege zu eröffnen: Der Marxismus verfügt weder über eine Theorie des Staates noch der Politik, die wir gerade dann in ihrer Eigenständigkeit denken müssen, wenn wir dem Staat-Werden der Partei in der Sowjetunion und jeder juridisch-ideologischen Reduktion der Politik etwas entgegensetzen wollen. Damit greift Althusser in die Diskussion ein, die Ende der 1970er Jahre unter Mitgliedern westeuropäischer Kommunistischer Parteien um die Frage nach der »Diktatur des Proletariats« entbrannte. In dem Abschied von der »Diktatur des Proletariats«, den die »eurokommunistischen « Parteien damals vollziehen, erkennt Althusser mitnichten deren Demokratisierungs- und Öffnungsbestreben. Statt einem Ende des Stalinismus bedeutet dieser Abschied eine Fortsetzung des Stalinismus mit anderen Mitteln, weil dadurch den politischen Initiativen der Massen eine Absage erteilt wird.
              Im Kontext genau dieser politischen Auseinandersetzungen steht auch das Fragment gebliebene Werk Marx in seinen Grenzen, in dem er erneut Das Kapital und andere marxistische Klassiker liest, um ein anderes Denken von Ideologie, Partei, Staat und Politik zu entwickeln. Anstatt Marx, wie in Althussers kanonischen Werken, ideell vervollständigen zu wollen, stellt er damit die direkte Frage nach dessen Grenzen: Was an seinem Denken ist noch immer aktuell, was unverstanden und was ungedacht geblieben? Erst ein solcher Grenzgang des Marx’schen Denkens erlaubt, so Althusser, eine historische Bilanz des Marxismus zu ziehen, auf deren Grundlage die Politik neu entworfen werden könnte.

Louis Althusser (*1918-1990) lehrte 1948 bis 1980 an der École normale supérieure in Paris und gilt als einer der bedeutendsten Philosophen der französischen Nachkriegsphilosophie und wichtigsten Neuerer des westlichen Marxismus. Zu seinen Schülern zählen unter anderem Jacques Derrida, Michel Foucault, Pierre Macherey, Étienne Balibar, Jacques Rancière und Alain Badiou. Als Mitglied der kommunistischen Partei Frankreichs seit 1948 verstand er seine philosophischen Arbeiten vorrangig als eine Form politischen Eingreifens in die Linie der Partei, die er nach jahrelangen Konflikten und der Erdrosselung seiner Frau Hélène Rytmann 1980 verließ und sich fortan als »Kommunist ohne Partei« begriff.

Rezensionen:

Armin Puller - Althusser über Marx hinaus (im »Tagebuch«)

Reihe: Terrains

erschienen 1994 bei Stock, in: Écrits philosophiques et politiques: Marx dans ses limites

sowie 1998 bei Presses Universitaires de France, in: Solitude de Machiavel: Marxisme aujourd'hui

16 x 24 cm

293 Seiten

26 Euro

Erscheinungstermin: 8. Dezember 2023

ISBN: 978-3-949153-05-1

Mit einem Nachwort der Übersetzer

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